Aber pass auf! – Mein Alltag im neuen Alltag

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Meine Auslandsentsendung ist inzwischen fast drei Monate alt. Nach und nach habe ich mich gut in mein Projekt eingearbeitet. Ich habe sowohl die Projektdetails als auch weitere projektbeteiligte Personen und Firmen kennen gelernt. Ich bin außerdem neugierig auf die Frage, was Namibia sonst noch für Überraschungen bereithält. Also entschließe ich mich, meine Wochenenden zu nutzten um die Umgebung zu erkunden.

[Aber pass auf, auf der Schotterpiste]

Ich möchte mich vorsichtig mit der Verkehrslage außerhalb von Windhoek und den Eigenschaften einer Schotterpiste auseinandersetzten. Hierzu plane ich meinen ersten Sonntagsausflug. Wenn man morgens zeitig losfährt, erreicht man zur besten Mittagessenszeit den privaten Naturpark Erindi. Dieser beherbergt Antilopen, Elefanten, Nilpferde, Giraffen und viele andere Tiere auf über 70.000 Hektar.

Die erste Herausforderung auf der Hinfahrt begegnet mir in Form einer 40 km langen Schotterpiste. Diese scheint mehr aus Sand als aus Schotter zu bestehen. Nach 5 km möchte ich das erste Mal am liebsten umdrehen. Es geht zum größten Teil im Schritttempo voran und ich errechne die Stunden bis zum Sonnenuntergang. Der Sonnenuntergang ist der Zeitpunkt, an dem ich in Namibia versuche, spätestens mein Ziel erreicht zu haben. Eine Gefahr der Dunkelheit ist der Wildwechsel von Antilopen. Diese können in Größe und Gewicht das Doppelte des uns bekannten mitteleuropäischen Rotwilds erreichen. Eine weitere Gefahr wäre, dass man den Sundowner verpasst. Augenblicklich schießt mir der letzte Satz eines NamPower Kollegen in den Kopf, der sich wunderte, dass ich allein einen Ausflug unternehmen möchte. „Aber pass auf!“ Ich nickte nachträglich nochmal innerlich und konzentrierte mich wieder auf die Schotter- … ähm … Sandpiste.

Ich lerne mit jedem Kilometer besser, die Straße zu lesen. Wo kann ich schneller und wo muss ich langsamer fahren? Wo muss ich Schlaglöchern ausweichen und wo den tiefen Sand umfahren? Nach einer Stunde erreiche ich den Parkeingang und melde mich bei dem Parkwächter an. Dieser erklärt mir den 20 km langen Weg zum Restaurant und dem damit verbundenen Kaltgetränk. Ich kann nur erahnen, wie blöd ich aus der Wäsche schaue. Weitere 20 km? Nach einigen Metern stellt sich zum Glück heraus, dass die Wege im Park in einem Topzustand sind. Somit sitze ich schneller als erwartet mit einer kalten Limonade am zentralen Wasserloch. Um mich herum leisten mir Giraffen, Nilpferde, Krokodile und Antilopen beim Durststillen Gesellschaft. Aufgrund der großartigen Szenerie habe ich den 40 km langen Rückweg bis zur sicheren Asphaltstraße fast vergessen.

[Aber pass auf, wenn du erkennst in welcher Situation du dich wiederfindest]

Mit einem Mal kommt eine neue Frage in mir hoch. Welches Bild gebe ich als Arbeitnehmer ab? Ich unternehme Wochenendausflüge, umgeben von Touristen, die viel Geld ausgeben, um dieses wundervolle Land zu sehen? Ich sehe mich in einer Zwickmühle. Wie soll ich in Deutschland von anstrengender Arbeit als Ingenieur berichten? Ich wohne nicht wie andere Kollegen in einem isolierten Baustellencamp. Stattdessen beobachte ich am Wochenende wilde Tiere oder wäge ab, ob ich eher das Kino oder das Konzert besuchen soll. Bevor ich den Gedanken zu einer wirklichen Lösung bringe, werde ich von einem schnaufenden Nilpferd unterbrochen. Ich entscheide, dass das der falsche Zeitpunkt ist, um sich mit solchen arbeitspsychologischen Fragen auseinanderzusetzten und genieße den Moment.

Den gelungenen Ausflug nehme ich als Anlass, die nächsten Wochenenden zu planen. Sossusvlei, Vingerklip, Tweyfelsfontein, Waterberg, Swakopmund, Spitzkoppe. Das alles sind Ausflugsziele, die man ohne weiteres über das Wochenende planen kann. Dennoch, die Distanzen in Namibia sind groß und die geringe Tankstellendichte fordert einen auf, seine Route genau zu planen.

[Aber pass auf, wenn du in der Wildnis bist]

Also plane ich und fahre los. Ich habe an dieser Stelle einen perfekten Ausgleich zu meinem Arbeitsalltag gefunden. Und fast jedes Mal wieder mit dem ausgesprochenen Segen meiner Kollegen. „Aber pass auf!“ Auf der „Pad“ ist es nach wie vor befremdlich, dass mir Tiere begegnen, die ich bisher nur aus dem Zoo kannte. Ich spüre, dass die Umgebung, in der ich mich gerade aufhalte, ohne Wasser (und Klimaanlage) lebensgefährlich ist. Ich genieße ein Stück weit die Einsamkeit, in der man gerne mal eine Stunde lang kein anderes Auto sieht. Bestätigt werden meine Eindrücke bei fast jedem Halt von Touristen, die ich kennen lerne. Sie füttern außerdem mein Selbstbewusstsein, indem sie mir Mut unterstellen. Mut, weil ich ganz allein Ausflüge durch die Wüste unternehme. Ganz erfahrene Touristen (Achtung Ironie), die mitunter schon zwei Wochen in Namibia sind oder gar das zweite Mal in Afrika, verabschieden mich mit meinem neuen Mantra. “Aber pass auf!”

[Aber pass, da kommt bald was zum Weiterlesen]

Ob ich auch überall aufgepasst habe? Das nächste Mal mehr.

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